Legasthenie ≠ Faulheit. Wie geht man mit ihr um und was kann sie Gutes bringen?

Legasthenie ≠ Faulheit. Wie geht man mit ihr um und was kann sie Gutes bringen?

„Ach, wenn mir die Buchstaben doch nur… gehorchen würden“, seufzte Albert unglücklich. Alle anderen hatten schon längst gelernt, ohne Silben zu lesen, nur er stotterte, errötete und erblasste dann wieder, wenn er in der Schule aufgerufen wurde.

Legasthenie – was ist das?

Den Begriff Legasthenie haben Sie bestimmt schon einmal gehört – von einer leichten Form sind immerhin bis zu 10% der Bevölkerung betroffen. Aber was versteht man darunter? Legasthenie fällt in die Gruppe der „spezifischen Lernstörungen“. Sie erschwert das Lernen und bereitet Probleme beim Lesen. Die Betroffenen machen viele Fehler, haben ein langsameres Lesetempo, ermüden schnell beim Lesen oder verstehen nicht, worum es in dem gelesenen Text geht. Nicht selten haben sie auch Probleme mit dem schriftlichen Ausdruck.

Im Gegensatz zu herkömmlichen Vorstellungen begrenzen sich die Schwierigkeiten nicht nur auf das laute Lesen. Legasthenie kann auch beim stillen Lesen Probleme bereiten. Betroffene lesen langsam, verwechseln Buchstaben in Wörtern und erfinden Textteile. Dies hat zur Folge, dass sie oft nicht verstehen, was sie eigentlich lesen. Und hier kommt der Haken: Lesen müssen wir ständig. Sobald wir in die Schule gehen, gehört Lesen zu unserem Alltag. Wir lesen beim Lernen, wir lesen unterwegs, beim Einkaufen und nach dem Schulabschluss auch in der Arbeit. Tag für Tag kommunizieren wir mit Hilfe von E-Mails und Textnachrichten mit Familie, Freunden, Mitschülern und schließlich mit Kollegen.

Handelt es sich nicht nur um Faulheit?

Legasthenie wird oft auf die leichte Schulter genommen. Manche halten die Lese-Rechtschreib-Schwäche für ein Zeichen von Faulheit oder sogar Dummheit. Legasthenie hat aber überhaupt nichts mit Intelligenz zu tun – sie erschwert lediglich die Informationsaufnahme. Wer eine Leseschwäche hat, tut sich damit schwer, Schulbücher und eigene Notizen zu lesen. Dies kann zu einem geringen Selbstwertgefühl und einer allgemeinen Abneigung gegenüber dem Lernen oder der Schule führen.

Ist mein Kind Legastheniker oder nicht?

Der erste Verdacht auf Legasthenie kommt häufig auf, wenn die Kinder beginnen, in der Schule lesen zu lernen. Wenn Ihr Kind trotz großer Mühe kaum Fortschritte beim Lesen macht, sollte eine Legasthenie in Betracht gezogen werden. Die Diagnose wird in der Regel in der zweiten Klasse gestellt. Das Warten bis zum achten Lebensjahr hat den Vorteil, dass zu diesem Zeitpunkt die visuelle und auditive Wahrnehmung bereits ausgereift sein sollte. Bestimmte Warnsignale können aber auch schon früher beobachtet werden, wie zum Beispiel eine verzögerte Sprachentwicklung, ernstzunehmende Sprachstörungen, ein kleiner Wortschatz oder Schwierigkeiten bei der Unterscheidung ähnlich klingender Wörter oder Bilder… Diese Symptome deuten jedoch nicht zwangsläufig auf eine Legasthenie hin.

Was tun bei Verdacht auf Legasthenie?

Am besten wenden Sie sich zuerst an LehrerInnen, SozialpädagogInnen oder SchulpsychologInnen und im Anschluss daran an die schulpsychologische Beratungsstelle. Die dort beschäftigten Ärztinnen und Ärzte für Kinder- und Jugendpsychotherapie können die Diagnose bestätigen und der Schule Empfehlungen geben, wie sie mit Ihrem Kind umgehen sollen. Uns Eltern kommt danach die nicht weniger wichtigere Aufgabe zu, Wege zu finden, wie wir mit unserem Kind lernen können. Dabei ist es besonders wichtig, dass das Lernen nicht zu Frustration und Unmut führt.

Was können wir also versuchen?

  • Nicht auf Schnelligkeit bestehen. Geht Schritt für Schritt vor, ohne jede Eile. Sorgt für eine entspannte Atmosphäre und verringert äußere Störquellen (Fernseher, laute Mitbewohner, …).
  • Kurze Absätze lesen. Verwendet einfache Texte in größerer Schrift und zeigt mit dem Finger, Lesezeichen oder Leselineal. Am Anfang reicht es, wenn Ihr Kind drei Minuten liest und anschließend erzählt, worum es in dem Text geht; danach kann es wieder drei Minuten lesen und dann sprecht ihr wieder über den Inhalt.
  • Loben, loben, loben. Und nicht vergleichen. Wahrscheinlich werden die Kinder in Ihrer Nachbarschaft schneller lesen, aber Ihr Kind hat ganz bestimmt andere Stärken. Warum sollten Sie also sein Selbstvertrauen schwächen?
  • Lest gemeinsam. Eine Weile lesen Sie, eine Weile Ihr Kind – immer im Wechsel. Und zwischendurch tauscht euch immer wieder über das Gelesene aus.
  • Wählt interessante Themen und attraktive Darstellungsformen. Kinder lieben Comics. Erfahrene Leserinnen und Leser können Geschichten von Readmio ausprobieren, die sie bestimmt mit ihren unterschiedlichen Geräuschen begeistern werden. Manche Kinder motiviert es, Trophäen für gelesene Geschichten zu sammeln. Und wer beantwortet nicht gerne ein paar Quizfragen am Ende einer Geschichte?
  • Kompensiert Misserfolge. Findet gemeinsam Aktivitäten, bei denen Ihr Kind Spaß hat und glänzen kann. Suchen Sie nach natürlichen Situationen, in denen Sie Ihr Kind loben können – etwa, wenn es ein Preisschild im Geschäft vorliest oder den Namen einer Bushaltestelle auf dem Fahrplan entziffert… Vergessen Sie nicht Ihr Kind darauf aufmerksam zu machen, dass es ihm gerade gelungen ist, diesen Text zu lesen – dann wird es ihm bestimmt auch in Zukunft gelingen.
  • Suchen Sie nach den Stärken Ihres Kindes und nutzen Sie diese beim Lernen. Vielleicht tut sich Ihr Kind beim Lesen schwer, aber wie sieht es aus mit Mindmaps, Bildern oder Filmen? Eurer Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.
  • Vermeiden Sie das Thema Legasthenie nicht. Haben Sie keine Angst, Ihrem Kind in einfachen Worten zu erklären, warum ihm das Lesen schwerfällt. Beschreiben Sie ihm, was Legasthenie bedeutet, und betonen Sie, dass es nichts ist, wofür man sich schämen müsste. Sprechen Sie aber auch darüber, dass es keine Ausrede ist und nicht bedeutet, dass es nicht lernen kann.

Bringt Legasthenie nur Probleme mit sich?

Keineswegs! Es mag zwar den Anschein haben, dass die Bezeichnung „Legasthenie“ nichts Gutes verheißt. Es hat sich aber herausgestellt, dass viele Legasthenikerinnen und Legastheniker überdurchschnittlich kreativ sind, eine gute Vorstellungskraft haben und in der Lage sind, ganzheitlich zu denken. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie in Bildern denken und Lösungen finden, die Nicht-LegasthenikerInnen gar nicht einfallen würden. Dies mag damit zusammenhängen, dass sie schon in jungen Jahren beim Lernen nach kreativen Lösungen suchen müssen, da sie mit der traditionellen Art zu lesen nicht viel anfangen können. Sie sind gut darin, in Zusammenhängen zu denken, und nicht zuletzt sind sie hartnäckig und widerstandsfähiger gegenüber Stress. Kurz gesagt, sie sind es gewöhnt, hart zu arbeiten, um in der Schule Anschluss zu finden. Für viele Legasthenikerinnen und Legastheniker gilt: Je schwerer sie sich in einem Bereich tun, desto erfolgreicher sind sie in einem anderen. Und das bringt uns zurück zu unser Eingangsgeschichte…

Wir schreiben das Jahr 1921. Albert, derselbe Albert, den viele Lehrer für faul gehalten hatten, errötet wieder ein wenig. Aber nur, weil er gerade einen Preis entgegennimmt. Den Nobelpreis für Physik. Allerdings „nur“ für seine Erklärung des photoelektrischen Effekts und für seinen Beitrag zur Entwicklung der theoretischen Physik – seine allgemeine Relativitätstheorie ist zu dieser Zeit nämlich so fortschrittlich, dass selbst führende Wissenschaftler sie noch nicht zu schätzen wissen. Die Geschichte von Albert Einstein ist eine von vielen, die zeigen, dass man auch als Legasthenikern eines Tages ganz groß rauskommen kann.

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